Hauptbahnhof

Irgendwann war es mir zu langweilig geworden, einfach nur in unserem Versteck rumzusitzen und gar nichts zu tun. Da von den anderen niemand mehr Lust hatte irgendwas zu unternehmen, war ich alleine gegangen. Ich hatte mir kurzerhand meine Tasche umgehängt und hatte mich auf den Weg zum U-Bahn Hauptbahnhof gemacht. Hier war eigentlich immer was los. Entweder man traf Leute, die man schon kannte, man lernte neue kennen, oder man staubte wenigstens noch den ein oder anderen Geldbeutel ab. So oder so, es war auf jeden Fall interessanter, als dumm rumzusitzen.
Inzwischen war ich hier angekommen und ließ mich einfach eine Weile von der Masse durch die Gegend schieben. Neugierig betrachtete ich die Menschen, die hecktisch von einer zur anderen U-Bahn rannten.

Gerade als ich beschlossen hatte mir eine U-Bahn zu schnappen und eine Weile durch die Gegend zu fahren, rämpelte mich ein junger Mann von der Seite an. Na moment mal, den Trick kannte ich aber! Schließlich wendete ich ihn oft genug selbst an. Ich drehte mich um und entdeckte gerade noch den Seesack, den der Mann auf dem Rücken trug. Sofort änderte ich meine Laufrichtung und folgte ihm. Ein Griff in meine Tasche bestätigte meinen Verdacht. Handy und Geldbeutel waren weg. Das konnte er von mir aus mit jedem anderen hier machen, aber das waren MEINE Sachen und die wollte ich wieder haben. Ein Dieb ließ sich nur ungern beklauen! Schon nach ein paar Metern war ich wieder hinter ihm. Prüfend musterte ich ihn von hinten, um rauszufinden wo er die Sachen hingesteckt hatte.

Na super, er hatte mich also bemerkt, aber das machte das Ganze eigentlich nur noch interesannter. Mit einem charmanten Lächeln ging ich auf den Mann zu. Manchmal war es ganz praktisch ein Mädchen zu sein, die meisten Leute nahmen einen nämlich nicht richtig ernst. "I`m sorry. Do you know how to get to the statue of liberty?" Die unwissende Touristin war meistens am Einfachsten vorzuspielen. Da immernoch viele Leute hier unterwegs waren, konnte ich ohne weiter aufzufallen relativ dicht vor ihm stehen. Während ich ihn weiterhin hilfesuchend ansah, fanden sich in seiner Jackentasche tatsächlich meine Habseeligkeiten wieder, aber nicht nur die....schnell zog ich meine Hand wieder zurück.

Es hätte mich durchaus überrascht, wenn er nichts gemerkt hätte. Wer so professionell Leute bestahl, wusste auch, wann er selbst bestohlen wurde. Anderenfalls hätte ich sicher nichts bemerkt. Mit einem schiefen Grinsen wackelte ich mit meinem Geldbeutel, den ich gerade aus seiner Tasche geangelt hatte. "Ich fürchte du hast ausversehen was mitgenommen, das mir gehört!", stellte ich fest, ehe er wieder in meiner
Tasche verschwand. "Und den..", ich hielt einen weiteren hoch, "...behalt ich als Wiedergutmachung!" Nochmal grinste ich ihn an. Dass er unsere Sprache verstand nahm ich jetzt einfach mal an.

Lachend sah ich zu ihm auf. "Stimmt...sollte nur nicht zu oft passieren, sonst wirds teuer!", stellte ich fest, ehe ich die andere Hand hinter dem Rücken vorholte und ihm einen deutlich kleineren Geldbeutel hinhielt, den ich auch noch in die Finger bekommen hatte. Den konnte er wiederhaben, schließlich hatte er ja dafür gearbeitet! "Bist du schon lange hier?", wollte ich dann wissen. Eigentlich kannten wir die meisten Diebe in der Gegend und seit wir uns organisiert hatten, kamen auch nur selten fremde Diebe her. Das war nunmal unser Revier! Aber wer fremd hier war, konnte das ja auch nicht wissen.

Kurz nickte ich. Offenbar kam er aus Europa, irgendwo aus dem Osten. Zumindest hörte sich das so an. Ich wusste wie es war neu hierher zu kommen, aber ich konnte mir nicht vorstellen wieder zurückzugehen. Hier waren inzwischen alle meine Freunde und ich fühlte mich hier wohl. Diesmal machte ich meine Tasche richtig zu, ehe ich sie mir wieder über die Schulter hängte. "Ich bin übrigens Shape!", stellte ich mich dann erstmal vor. Den Diebstahl nahm ich ihm nicht krumm, wie sollte ich auch? Ich war ja wirklich nicht besser, aber das musste ich ihm auch nicht gleich auf die Nase binden! Vielleicht sollte ich ihn mit zu Gamit nehmen, schließlich schien er ein ziemlich guter Dieb zu sein.

Auch sein Name bestätigte meinen Verdacht. Natürlich interessierte es mich, wie es ihn hierher verschlagen hatte, aber die Frage wäre sicher noch zu früh gewesen. Eigentlich ging es mich ja auch nichts an. "Eindeutig zu lange!", antwortete ich ihm mit einem frechen zwinkern. Mein Blick fiel wieder auf seinen Seesack, der ihn doch wie einen Touristen aussehen ließ, aber vielleicht war das ja gewollt. "Hast du keine Bleibe?", fragte ich ihn. Wenn nicht, konnte Gamit ja eigentlich gar nichts sagen, wenn ích ihn mitbrachte. Das machte er schließlich genauso.

Weiterhin lächelnd wickelte ich mir eine Haarsträhne um den Finger. Einfach nur so würde ich sicher niemanden fragen, ob er mitkommen wollte in unsere Lagerhalle. Aber Nikolaj war mir irgendwie sympatisch und auch wenn ich das sicher nicht zugeben würde, war er echt süß!!
"Vielleicht kann ich dir ja helfen!", bot ich ihm an. "Ich wohne mit ein paar...Freunden ein bisschen außerhalb in einer Lagerhalle!", erzählte ich ihm. Es hörte sich zwar nicht besonders luxurios an, aber erstens war es besser als auf der Straße zu leben und zweitens war die Lagerhalle ziemlich cool!

Seine Reaktion brachte mich zum Lachen. Offensichtlich hatte er nicht mit sowas gerechnet. "Warum sollte ich dir denn nicht helfen?? So nachtragend bin ich nicht!", versicherte ich ihm mit einem Zwinkern, ehe ich zu einer der großen Uhren sah, die hier überall verteilt waren. "Wie lange...arbeitest du noch?", fragte ich Nikolaj. Gegen Abend wurde es immer leichter die Leute zu beklauen, deswegen waren wir auch oft abends unterwegs. Wenn er noch nicht lange hier war, konnte ich ihm sicher noch den ein oder anderen Platz zeigen. Wer weiß, vielleicht blieb er ja bei uns!

Zugegeben, ein bisschen staunte ich schon. Er schien ja richtig was verdient zu haben heute, aber wahrscheinlich war er auch schon ein Weilchen hier. Wurde Zeit, dass wir auch mal wieder richtig was verdienten, schließlich kam das Geld nicht von alleine! "Also dann mir nach!", sagte ich. "Und Finger weg von meiner Tasche!", fügte ich breit grinsend hinzu, mehr zum Spaß als zum Ernst. Er schien echt richtig nett zu sein! Ich drehte mich um und bahnte mir dann einen Weg zwischen den Massen hindurch, was gar nicht so leicht war!!

tbc: Diebesgilde