Auf einer Bank

Der Central Park war doch noch immer einer von meinen Lieblingsplätzen in ganz New York. So schön friedlich. Die Menschen vergasen gerne, was sie an ihrer Natur hatten und wie sehr sie sie zerstörten. Wenn man Jahre lang nichts außer Finsternis sehen konnte, begann man darüber nachzudenken und lernte mehr zu schätzen, was einem von Gott gegeben wurde. Mireille war sicher sauer, dass ich schon wieder weggelaufen war, ohne zu sagen wo hin. Aber sie würde es verstehen. Das tat sie immer. Die Franzosin war mittlerweile so etwas wie die Schwester die ich nie hatte. Fehlten nur die Eltern. Wie gerne ich doch gewusst hätte, woher ich kam und wieso ich einfach so Menschen töten konnte, ohne dass ich deshalb traurig war. Mit Mutationen hatte das sicher nichts zu tun.
Seufzend ließ ich mich auf einer Parkbank in der Nähe einer uralten Buche nieder und dachte mal wieder über die unmöglichsten Dinge nach, während ich meine Augenfarbe von grau zu flaschengrün änderte und die vorbeigehenden Leute beobachtete.

Die Sonne stand schon wieder tief am Himmel. Immer noch ging ich das Treffen von gestern in Gedanken nach. Nie hätte ich damit gerechnet dass Revenger zu uns stoßen würde, aber andererseits wunderte es mich im Nachhinein nicht wirklich. Er hatte ein Gespür für Dinge, die ihn weiterbrachten. Ich setzte mich leise auf eine Bank die im Central Park stand und fing wieder an mit meinen Karten zu spielen. Das Mädchen auf der anderen Bank beachtete ich nicht wirklich.

Ich lehnte mich auf meiner Bank zurück und seufzte leise. Die Leute hatten einfach keine Zeit um die Natur hier im Park zu genießen. Abgehetzt rannte ein großer Teil einfach nur an mir vorbei. So war es nicht weiter verwunderlich, dass ein nachdenklich aussehender Mann meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, als er sich auf einer anderen Bank nieder ließ und mit ein paar Karten herum spielte.
Interessiert beobachtete ich ihn und wünschte mir irgendwie, auch so geschickt im Umgang mit gewöhnlichen Karten sein zu können. Aber dafür war ich ziemlich gut im Umgang mit anderen Dingen. Immerhin waren die Dächer von Los Angeles eine lange Zeit lang mein Abenteuerspielplatz. Und das, obwohl ich rein gar nichts sehen konnte.

Ich zog meinen Hut tiefer als ich merkte dass ich beobachtet wurde. Es musste ja nicht sein, dass die Kleine sofort aufschrie und loslief. Also versuchte ich nicht aufzufallen und spielte weiter mit den Karten. In Gedanken kehrte ich zu Jacky zurück und an gestern Abend. Wie wir uns geküsst hattem. Wie nah wir uns waren.

Was war denn mit dem los? Komischer Kerl. Ich kam nicht drum herum, etwas amüsiert zu grinsen, als er seinen Hut tiefer zog, bis dieser seine Augen verdeckte. Er schien völlig geistesabwesend zu sein. Faszinierend, diese Menschen. Sie waren so anders als wir Mutanten. Aber ich wusste beim besten Willen nicht, warum sie uns so zu hassen schienen. Diese dämliche Mutantenmeldepflicht ... Es würde ihnen vielleicht mal ganz recht geschehen, wenn wer die Menschen so behandeln würden, wie sie es mit uns machten. Als wären sie nichts wert.
Ich legte den Kopf leicht schief und beobachtete diesen Typen weiterhin, wie er mit seinen Karten spielte und gleichzeitig zu schlafen schien. Mir hatte man schon öfter gesagt, ich solle nicht so starren, weil man sich dadurch eindeutig beobachtet vorkam. Aber immer wieder aufs neue war es mir egal. Jetzt wo ich wieder sehen konnte wie alle andern auch, wollte ich das auch ausnutzen.

Ich liess mir ihr Starren noch ein paar Minuten gefallen, bevor sich ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen bildete. Während ich mit meinen Karten spielte hob ich den Kopf etwas."Hast du gefunden was du gesucht hast?" fragte ich sie und aus dem Lächeln wurde ein Grinsen. Dass ich immer angestarrt wurde, daran hatte ich mich gewöhnt. Aber ihr Starren war anders.

Während ich versuchte, schlauer aus diesem Typen zu werden, hob er auf einmal den Kopf. Nicht viel, aber genug, dass ich geraden noch so seine Augen erkennen konnte. Und - du meine Güte - sie waren tatsächlich rot. Das war irgendwie ... cool. Das wollte ich auch ausprobieren. "Nein noch nicht, aber das werd ich schon noch." Antwortete ich ihm und mit einem Mal trat ein leichtes Rot in meine Augen, während sich das Flaschengrün immer mehr auflöste und schließlich ganz verschwand, so dass nur noch ein satter, roter Farbton übrig blieb. Faszinierend. Ich hatte gar nicht gewusst, dass auch für Augen untypische Farben möglich waren. Aber anscheinend ging es. Mann. Ich musste ja sowas von dringend herausfinden, von wem ich meine neue Hornhaut bekommen hatte, die mir mein Augenlicht wiedergegeben hatte.

Ich drehte den Kopf ganz und beobachtete was sie da mit ihren Augen anstellte. Interessiert stand ich auf und setzte mich neben sie, während ich ihre Augen musterte. "Oh man ich wusste nicht wie krank das aussieht" gab ich zu und musste lachen. Dann steckte ich meine Karten in meinen Mantel und reichte ihr meine Hand. "Ich bin Gambit" stellte ich mich vor und lächelte sie an.

Ich grinste schief und folgte ihm mit meinem Blick, als er aufstand, seine Karten sicher in seinem Mantel verstaute und sich neben mich setzte. "Sweet Pea." Stellte auch ich mich vor und schüttelte kurz seine Hand. "Und so krank sieht es gar nicht aus. Keine Ahnung ob dir das schon mal jemand gesagt hat, aber ich finde sie ziemlich faszinierend." So etwas hatte ich noch nie gesehen und allein deswegen waren seine Augen schon höchst interessant. Vielleicht sollte ich das mal eine Weile beibehalten um zu sehen, wie diese törichten Menschlein darauf reagierten. Andererseits machten mich rote Augen wohl doch etwas auffällig und ließen meine Tarnung auffliegen. Das letzte was ich brauchen konnte war, dass ich die Polizei am Hals hatte, weil ich eine Mutantin war.

"Freut mich. Und danke......" Ich grinste in mich hinein. Jaa sowas ähnliches hatte mir jemand ganz Besonderes schonmal gesagt. Ich vermisste Jacky, ich brauchte sie, wie ein Junky seine Droge. Und das war ich im Grunde auch. Ich konzentrierte mich wieder auf Sweet Pea. "Und was machst du so? Musst du nicht bald wieder nach Hause, es wird schon langsam dunkel" zog ich sie auf und zwinkerte ihr zu.

"Die Freude ist ganz auf meiner Seite." Immerhin schien er nett zu sein. Gut so. Dann brauchte ich mich wenigstens nicht wieder aufzuspielen. Reichte schon, wenn ich das mehr oder weniger bewusst tat, wenn mich Leute zufällig dabei beobachteten, wie ich meine Augenfarbe veränderte und ihnen dann halb die Augen aus dem Kopf fielen. "Nach Hause?" Fragte ich rhetorisch nach und konnte nicht anders als zu lachen. "Guter Witz." Fügte ich nach einer Weile hinzu und zog die Beine an. Gut das Mireille in Paris war. Sonst würde ich wohl nach Hause müssen. Aber ich war ja noch nicht einmal mit ihr verwandt und da sie mir keine große Hilfe war, konnte ich die Suche nach meiner eigentlichen Herkunft auch alleine weiter führen. Irgendwo musste ich doch gelernt haben, wie man so gut tötete. Und vor allem, ohne sich dabei irgendwie schlecht zu fühlen.

Ich hob eine Augenbraue. Das gabs doch nicht? Wieviele heimatlose Mutanten gab es denn bitte hier im Umkreis von 5 Kilometern? Ich musste nicht lange nachdenken."Wenn du Hilfe brauchst sag bescheid. Ich hab da ne Schlafmöglichkeit für dich. Und irgendwie glaube ich dass du perfekt in unsere..ungewöhnliche Familie reinpasst"sagte ich und rückte meinen Hut zurecht. Es fing an zu regnen. Ich hasste Regen.

Es begann zu regnen und wie ich es gewohnt war, schloss ich die Augen und streckte mein Gesicht dem Himmel entgegen. Ohne die Augen zu öffnen sah ich nach einer Weile wieder zu Gambit und konnte ihn trotzdem sehen. Wie ich es doch liebte, wenn es regnete. "Vielen dank, aber ich komm klar." Antwortete ich. Solche Schlafmöglichkeiten kannte ich. Da verzog ich mich lieber wieder in die Schule. Wer einmal in Paris gelebt hatte, der nahm sich in acht vor solchen Angeboten, was Pseudo-Schlafmöglichkeiten anging. Was mich allerdings etwas stutzig machte, war dieses Gerede von einer ungewöhnlichen Familie. Ich wusste nichts damit anzufangen und das ließ mich darüber nachdenken, was wohl damit gemeint war.

Ich zuckte mit den Schultern. Verständlich dass ihr das ungeheuer war. Wenn man als junge Dame von einem Fremden nach Hause eingeladen wurde, war es ziemlich dumm darauf einzugehen. "Ok dann nicht" sagte ich mit einem Lächeln und holte wieder meine Karten raus. Sie fingen an hellrot zu leuchten, während ich sie in der Hand drehte und ich lächelte vor mich hin. Ich liebte es meine Fähigkeit zu benutzen.

Als ich sah, wie er seine Karten erneut aus dem Mantel zog, öffnete ich doch die Augen, um all das in Farbe wahrnehmen zu können. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm ich wahr, wie eine der Karten zu leuchten begann. Einen Moment lang beobachtete ich ihn einfach dabei, wie er weiß Gott was mit der Karte da machte. Dann streckte ich meine Hand aus und hielt sie über die Karte, die auf einen Schlag gefroren war. Ich musste lachen und sah, wie meine Fähigkeit ihre zweite Wirkung tat - die zwar nicht von mir hervorgerufen wurde, aber zwangsläufig jedes Mal folgte, wenn ich irgendeine Nummer dieser Art abzog. Gambits Gesichtsausdruck war einfach einmalig. Genau so dämlich sah jeder drein, dem ich irgendsoetwas antat.

Das gabs doch nicht. Niemand durfte sowas mit mir machen. Niemals. Ich verzog das Gesicht und steckte ihr die Karte ins Haar. Dann sah ich sie mit einem leicht arroganten Lächeln an und zog wieder eine Karte vom Stapel, liess sie aufglühen, und warf sie in die Luft, wo sie mit einem lauten Knall explodierte. "So haben wir das jetzt auch geklärt" stellte ich fest und lachte sie frech an.

"Oh cool danke." Sagte ich als er mir die schockgefrostete Karte ins Haar steckte, zog sie heraus und legte sie zum Auftauen auf meinen Schoss. Dann sah ich zu, was er mit einer weiteren Karte anstellte und hob eine Augenbraue. Was für eine Verschwendung. "Mach weiter so und hier fängt gleich der nächste an die Polizei zu rufen." Lachte ich und war mir bewusst, dass das Schwachsinn war, denn um diese Zeit war nicht mehr all zu viel los hier im Central Park. "Aber sonst ... yep ... geklärt. Keine Ahnung was. Ist auch egal." Sagte ich, während ich ausprobierte, ob sich meine Augen lila färben ließen. Zu meiner Überraschung funktionierte es sogar ohne weiteres.

Ich lachte wieder auf."Ja die sollen mal kommen, mir ist langweilig. Dann hab ich wenigstens was Spass, die lassen sich ja kaum noch blicken" Ich schnippte drei karten hoch, die dann wie ein kleines Feuerwerk explodierten. "Weisst du, diese ganze Geheimnistuerei ermüdet einen irgendwann. Es macht viel mehr Spass, mit den Bullen zu spielen. " Grinsend senkte ich den Kopf leicht und ein Regenrinsal tropfte auf die Bank.

Ich verdrehte die Augen und sah hinauf in den wolkenbehangenen Himmel. "Ich bitte dich. Mit denen spielt man doch nicht. Man verwendet sie höchstens als Übungsobjekte." Stellte ich klar während ich mich mit meinen mittlerweile ziemlich durchnässten Haaren beschäftigte. Zu schade, dass ich die nicht auch verändern konnte. Grüne Haaren wären sicher auch mal ganz nett. Aber für jemanden in meiner Branche wohl doch etwas zu auffällig. Meine Augen waren schon sonderbar genug. Aber die brauchte ich ja nicht unbedingt. Ich konnte mit geschlossenen Augen mindestens genau so gut Profis was das töten anging mithalten.

Ich grinste wissend und nickte."Ich weiss." Ich kramte in meiner Manteltasche und zeigte ihr dann eine Pistole die ich heute einem Polizisten abgenommen hatte."Man sollte denken dass die besser auf ihr Zeug aufpassen, oder?" fragte ich sie und überlegte. Dann hatte ich eine Idee. Ich liess die Pistole aufleuten und warf sie dann hoch in die Luft. Mehrere laute Knalle waren zu hören, während die Pistole und ihre Kugeln explodierten. "Wow... das ist echt abgefahren. Ich glaub die benutz ich jetzt immer"

Ich sah mir die Pistole an und schüttelte den Kopf. "Was die für veraltetes Zeug haben." Beschwerte ich mich und musste kurz darauf lachen. "Die? Man sollte denken, du würdest besser auf dein Zeug aufpassen." Sagte ich, als ich mich wieder etwas gefangen hatte. Interessant. Ein Dieb, der anscheinend nicht wusste, dass man auch in Gegenwart einer Dame auf seinen Geldbeutel aufpassen sollte. Was es nicht alles gab. Da konnte ich einfach nur abermals den Kopf schütteln und vor mich hin schmunzeln.

Mit großen Augen sah ich sie erst an, dann fühlte ich in meiner Manteltasche nach. Nichts. Nach und nach bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen, während ich den Kopf schüttelte. "Das gibts doch nicht. Du bist doch tatsächlich die Erste die das geschafft hat" gab ich zu und musterte sie nochmal. "Schade, du wärst echt eine Bereicherung für uns gewesen. Aber ich akzeptiere natürlich deine Entscheidung, lieber für dich zu bleiben. Wärst du wohl so freundlich und gibst mir meinen Geldbeutel zurück?"

Lachend zog ich seinen Geldbeutel aus der Tasche meiner Lederjacke und reichte ihn ihm. "Bittesehr." So einem netten Kerl wie Gambit gab ich gerne seine Sachen zurück. Auch wenn das wohl hieß, dass ich mir wo anders Geld für was zu futtern besorgen musste. "'Eine Bereicherung für uns?' Und wer bitte ist 'uns?'" Fragte ich ihn interessiert. Es gab bestimmt viele Arten von Bereicherung. Aber wenn er das im Bezug auf meinen gelungenen Diebstahl meinte, dann hörte sich das ganze schon wesentlich interessanter an.

Ich nahm meinen Geldbeutel entgegen und steckte ihn tief in meine Manteltasche. "Naja, UNS ist die New Yorker Diebesgilde. Von der ich momentan der Anführer bin. " erklärte ich knapp und lächelte. Nach so Talenten leckte sich doch jede Diebesgilde die Finger. Klar, Jacky war schon super, aber Sweet Pea war wirklich, wirklich gut. In ihrem Alter war sie schon mindestens so gut wie ich, auch wenn ich das ungern zugab.

Hör sich das einer an. Eine ganze Gruppe von Dieben hier in New York. Langsam begann die Sache doch tatsächlich interessant zu werden. "Wieso sind wir uns nicht schon viel früher über den Weg gelaufen?" Fragte ich ihn und verschränkte fast schon beleidigt die Arme vor der Brust. Das hätte mir zwei Jahre als New Yorker Straßengöre gespart. Ich hielt mich nicht gerne auf der Xavier School for gifted youngsters auf. Nicht wenn es nicht unbedingt zwingend notwendig war. So war ich meistens damit beschäftigt irgend eine Unterkunft für die Nacht zu suchen oder mich unauffällig zu verhalten. Seit ich achtzehn war, hatte sich mein Leben zumindest ein wenig vereinfacht. Ich wurde nicht mehr andauernd von irgendwelchen Polizisten angesprochen, gefragt wo mein zu Hause wäre und gezwungen, mit ihnen auf die Wache zu kommen, um zu klären, wieso ich bereits als Minderjährige durch die Straßen der Stadt zog ohne zu wissen wo hin und das auch noch völlig allein.